Menschen sind nicht gleich, aber ihre Rechte.
Am 18. März 2014 wurde in Berlin der 7. Menschenrechtspreis von Amnesty International an Alice Nkom, Kamerunische Anwältin und Präsidentin von ADEFHO – Vereinigung für die Verteidigung der Rechte Homosexueller – vergeben. Angesichts der gesetzlichen Entwicklung in vielen Afrikanischen Ländern in Bezug auf sexuell anders orientierte Menschen, wollte hier Amnesty International sicherlich ein klares Zeichen setzen. In den meisten Afrikanischen Ländern ist Homosexualität durch Einführung der kolonialen Gesetzgebung, welche nie modifiziert wurde, ohnehin unter Strafe gestellt, jedoch verschärfen in den letzten Jahren mehrere Länder, darunter Nigeria und Uganda, ihre Strafmaße. So werden in Uganda homosexuelle Handlungen mit bis zu lebenslanger Haftstrafe geahndet und auch das nicht gemeldete Mitwissen oder die „Werbung für Homosexualität“ hat Haftstrafen bis zu sieben Jahre zur Folge – unvereinbar mit der UNO Menschenrechts-Charta und daher unter scharfer Anklage von Organisationen wie Amnesty International.
PRESSENZA hat sich mit Marion Böker, Menschenrechtsaktivistin und –beraterin, die bei der Preisverleihung anwesend war, unterhalten. Der Link zu ihrer Webseite ist hier.
Was hat Alice Nkom erzählt?
Mich hat am meisten ihre Freude und Liebe am Leben und für alle Menschen, ihr daraus rührendes unerschütterliches Wissen um die Existenz und den zuletzt immer eintretenden Sieg der Gerechtigkeit und ihre Bescheidenheit beeindruckt. Sie bleibt als Mensch bescheiden, aber in ihren Forderungen für andere verlangt sie das angemessen Maximum.
Wenn wir Ungerechtigkeiten, Diskriminierung und Menschenrechtsverletzung, ja der Verletzung des Rechtes auf Leben, die Stirn bieten, muss unser Wissen um Gerechtigkeit und unsere Rechte genau so unerschütterlich sein. Wir dürfen nie weniger als das Maximum verlangen. Das steht allen Menschen zu. MenschenrechtsaktivistInnen, wie Alice Nkom sagte, sind keine PolitikerInnen und dürfen keine Abstriche machen. Sie sagt: „Ich wünschte, PolitikerInnen lernen davon. Immerhin müssen diese es auch richten und kontrollieren, dass die Menschenrechte für alle garantiert und de facto unbeeinträchtigt erlebbar sind.“ Sie berichtete aus ihrem Alltag und wie perfide und lächerlich, aber eben auch gefährlich, das neue Gesetze gegen LGBTI (Lesbian Gay Bisexual Transgender Intersexual) in Kamerun – ähnlich wie in anderen afrikanischen Staaten – sich auswirkt, nur wegen ihrer Gender Identität oder sexuellen Orientierung, die nun strafrechtliche verfolgt wird.
Auch hier in Deutschland sind die Rechte von LGBTI und zu viele andere Punkte diesbezüglich nicht vollends eingelöst. Allerdings ist die Lage nicht vergleichbar. Umso wichtiger, dass es Alice Nkom gibt. Ich denke, sie ist nicht nur, wie es Selmin Çalsikan, die Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland sagt, eine große Inspiration für Menschen in Afrika, sie ist es uns hier in Deutschland und Europa ebenso.
Wie wird Nkom`s Arbeit weitergehen und was glaubt sie, wie sich die Situation für LGBTI in Zukunft in Afrika und/oder Kamerun entwickeln wird?
Sie erzählte, dass sie nun hier in Berlin mit der Kamerunischen Botschaft ins Gespräch kommen will. Zu Hause höre man sie nicht an, lasse sie nicht vor. Hier könnte der Preis von Amnesty International und die Begleitung von Amnesty International Türen öffnen, hinter denen sie endlich für die Entkriminalisierung der LGBTI in Kamerun und auf dem Afrikanischen Kontinent eintreten kann.
Sie hofft, dass die Würdigung der Verteidigung und des Schutzes von LGBTI Menschen in Kamerun bekannt wird, und sich die Haltungen der Verfolger, der Regierung und Richter verändern werde. Wie auch immer, sie gehe zurück und werde, trotz der Anfeindungen gegen sie als Anwältin und Vorsitzende von ADEFHO, verfolgte Menschen aus dem LGBTI Spektrum vor Gericht vertreten. Das Beste sei, wenn sie gewänne und sie sie vor langen Haftstrafen retten könne. Vor Gericht kann sie handfest beweisen, dass es um eine falsche Auslegung des Rechts des Kamerunischen Strafgesetzbuches und der Verfassung geht, denn sexuelle Orientierung ist keine benannte Straftat.
Allerdings könne sie Menschen nicht vor den derzeitigen Schikanen, der Denunziation, Untersuchungshaft und vielem Leid bewahren. Sie mache Lobbyarbeit und ist weithin vernetzt, um in Kamerun die Rechtstaatlichkeit wieder herzustellen. Sie habe ihrem Enkel, ihren Töchtern und ihrem Sohn versprochen, weiterzukämpfen. Sie ist sich sicher, dass der Kampf auf lange Sicht die Menschenrechte und Gerechtigkeit, die Freiheiten, den Respekt für die verfolgten LGBTI Menschen bringen wird. Sie glaubt an die Verbundenheit der Menschen in ihren Netzwerken, an die Kraft des gemeinsamen Handelns und das Recht. Sie hat bescheiden aber direkt klar gemacht, dass sie nie aufgeben wird und uns das auch ans Herz gelegt.
Alice Nkom hat ihre Stimme, voller Liebe und Klugheit, laut erhoben und ich bin sicher, dass sie viele UnterstützerInnen findet, viele Menschen retten wird und am Ende die ärmlichen, schwachen Regierenden oder Menschen, die eine kleine Anzahl Menschen meinen verfolgen zu müssen, bezwingt.
Welche Rolle können wir einnehmen, um zu unterstützen?
Alice Nkom sieht die Preisverleihung, die Anwesenheit der Gäste, den Applaus, als eine Solidaritäts- eine Unterstützungsbotschaft, die sie mitnimmt und die Hoffnung bringt für die LGBTI Menschen in Kamerun, nicht vergessen zu sein.
In ihrer Analyse, woher die Feindlichkeit gegen LGBTI Menschen komme, hat Alice Nkom ausgeführt, dass ein Teil der Motivation in einem Konstrukt stecke, das die schlichte, natürliche Existenz von Lesben, Schwulen, *Trans* Inter- Menschen abstreitet und deren Vorkommen als einen ‚Westlichen (schädigenden) Wert‘ darstellt. Wie unsinnig das auch sei.
Ich meine, das verweist doch auch darauf, dass wir weiter und noch ernsthafter die übernommene Verantwortlichkeit für die Minderachtung und Ausbeutung des Afrikanischen Kontinents und dessen Menschen, die ihnen tief im kollektiven Gedächtnis haftet, aufarbeiten müssen. Genauso wie der Ost-West-Konflikt heute für viele, die sich weltweit ohne derlei Grenzen mit anderen zusammentun, verwandt geworden sind, miteinander arbeiten und täglich miteinander kommunizieren, obsolet und lächerlich erscheint, erscheint dieses Nord-Süd-Konflikt-Muster – sogar die Achse ist verrückt: ‚Westliche Werte‘ – dem realen Menschen, aber auch dem Menschenrechts-bewussten Menschen als Irrsinn. Auch Menschen aus Afrika, aus Kamerun, sind nicht außerhalb der Welt und viele sind global verbunden, verwandt, arbeiten für vieles zusammen. Dennoch trennt sie eine ungerechte Geschichte, dennoch bleibt viel von uns aus Europa, besser von unseren europäischen Regierenden doch unbeantwortet. Und so schüren wir die historische Glut, ohne sie endgültig zu löschen und eine Verantwortung einzulösen, eine Form der Erinnerung und Bewahrung vor der Wiederholung zu finden. Ich würde das viel umfassender angehen wollen. Ich erinnere mich gut an die UN Konferenz gegen Rassismus 2001 in Durban und wie wenig sich die Regierungen, auch die Deutsche, seitdem um die Umsetzung der hart erarbeiteten Ergebnisse bemüht haben.
Wer war sonst bei der Verleihung?
Viele der Ehrenamtlichen von Amnesty international in Deutschland und deren FörderInnen waren da. Der Londoner Generalsekretär von Amnesty International, Salil Shetty, hielt eine spannende Rede. Der ausgeschiedene Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, wurde gesichtet. Und auch sonst viele, die ich aber nicht aufzählen kann. Ich habe freudig die Schar der fleissigen MitarbeiterInnen von Amnesty International, die jungen Menschenrechtsaktiven, genossen, die da waren, eine herzliche Generalsekretärin von Amnesty International, und dank eines guten DJ habe ich dann auch getanzt, mitten drin.
In welcher Funktion warst Du dort und wie war Dein Eindruck der Veranstaltung?
Ich war als Aktivistin und Expertin eingeladen. Ich arbeite für Menschenrechte in Ehrenämtern, etwa im Stiftungsrat von filia der Frauenstiftung, die sich auch für LGBTI engagiert, sowie in meiner Beratungsfirma. Mein Begleiter war Giyasettin Sayan, Vorsitzender von UNA-KURD e.V. Wir setzen uns gemeinsam für die ungeteilten Menschenrechte von Kurden ein, zur Zeit am meisten für die in Rojava, der Kurdisch selbstverwalteten Provinz im Nordwesten von Syrien – isolierten Kurden – damit diese endlich mit Hilfsgütern versorgt und als gleichberechtigte Teilnehmer an den Verhandlungen für einen hoffentlich baldigen Frieden teilnehmen können. Ich habe viel an die vielen Diskriminierungen von *Trans Menschen denken müssen, die hierzulande passieren. Ich habe an die erzwungene Genital-Geschlechtsorganoperationen an *Intersex Kindern zum Zwecke der Zwangsherstellung ihrer Anpassung an das duale oder sollende biologische Geschlecht denken müssen. Die Betroffenenverbände haben das in einer Koalition von NGOs, deren Teil ich sein durfte, 2009 erfolgreich vor der UN bei CEDAW vorgetragen. Die UN forderte damals unter anderem von der Bundesregierung eine sofortige Abschaffung der Zwangs-OPs an *Intersex Kindern. Nix passiert bis heute! Mir wird immer ganz schlecht, wenn ich dran denke. Die Schweiz hat das indes verboten. Hier wird munter weiter an ca. zweijährigen Kindern mit immensen lebenslangen Folgen herum operiert. Die UN sagt, es sei Folter. Die Regierung stört es nicht.
Die Veranstaltung war gelungen. Eine Einrahmung in die Universalität der Menschenrechte und ihre Unverzichtbarkeit. Dann eine würdige Preisverleihung und eine angemessene Dosis Informationen, ein offenes Beisammensein mit Musik, Tanz und Raum für Dialog. Ich finde so etwas wichtig. Wir müssen auch feiern können. Kämpfen und feiern gehört zusammen! Ich danke Amnesty International, danke Selmin Calsikan, dass sie dieses so schön umgesetzt haben. Die MenschenrechtsaktivistInnen und ihre UnterstützerInnen sind auch eine Community, die hart an der Zukunft arbeitet. Diese Community konnte hier – auch dank der Gastgeberschaft des Maxim-Gorki-Theaters zusammen kommen und Kraft geben und tanken.
Zwei Videos gibt es von Alice Nkom auf deutsch: