Ein sonniger Tag, dieser 8. März – Internationaler Frauentag. Am Alex liegen etwa zweihundert Menschen – Frauen, Männer, auch Kinder – auf dem Boden. Drum herum tummeln sich verwunderte Passanten und Photographen. Die am Boden Liegenden halten Schilder in die Höhe mit „zehn Minuten für ein Gespräch kann Medikamente reduzieren“, „Pflege ist Kopf, Herz und Handarbeit“ oder einfach „Ich kann nicht mehr“.
Dieser zum sechsten Mal stattfindende Flashmob richtet sich gegen die immer schlimmer werdenden Bedingungen im Pflegeberuf. Yvonne Falckner, selbst seit 1992 in der Pflege tätig, mittlerweile als Ausbilderin, und Jana Kowarsch, Auszubildende in der Altenpflege, sind von Anfang an als Organisatorinnen dabei. Frau Falckner erklärt die derzeitige Situation: „In der Pflege fehlen Fachkräfte, gleichzeitig hat sich die Zahl der Patienten erhöht. Seit den 90ern wurden über 30 000 Stellen abgebaut. Unter Einbeziehung der Altersentwicklung fehlen ab 2020 ungefähr 200 000 Pflegekräfte.“ Der Personalmangel sei überall spürbar. So komme es immer häufiger zu Doppelschichten, in Altenheimen sei oft ein Nachtdienst für 70 Bewohner zuständig. Gute Pflege, so sagt Frau Falckner, sei so nicht möglich, sondern grenze häufig an gefährliche Pflege. Die Patienten spüren den Notstand hautnah. So haben die Pflegekräfte kaum Zeit, um Grundpflege durchzuführen. Die Dokumentation verschlinge viele Stunden des Tages.
Die Pflegekräfte sind erschöpft und leiden darunter, den Beruf nicht so ausüben zu können, wie sie es gelernt haben. Viele bekommen Krankheiten und verlassen den Beruf. Verunglimpft durch die verantwortlichen Institutionen sehen sich die Pflegekräfte, indem ihre Probleme oft als Auswirkungen aus ihrer vermeintlichen Grundpersönlichkeit, sprich Helfersyndrom, gesehen werden.
Die Grundforderung des Aktionsbündnisses „Pflege am Boden“ ist, dass die Menschenwürde sowohl für die Pflegenden als auch für die Gepflegten wieder gewahrt wird. Daraus resultieren Forderungen nach mehr Personal, einer fairen Bezahlung und guter Ausbildung für den Nachwuchs. Jana Kowarsch, die für ihre Ausbildung sogar bezahlen muss, sagt: „Ich habe ein verletztes Gerechtigkeitsempfinden. Ich finde es nicht okay, dass ich für meine Ausbildung zahlen muss. Andere verdienen einen Haufen Asche und arbeiten nur halb so hart wie ich.“ „Der Politik ist eigentlich alles bekannt.“ fügt Yvonne Falckner hinzu, „Bis sie anfangen zu merken, dass es uns ernst ist, werden wir hier liegen.“
Die Initiative ist entstanden durch zwei Hauptinitiatoren, Michael Thomsen und Guy Hofmann. Sie haben im Oktober zum bundesweiten Flashmob aufgerufen. Schon beim ersten Mal waren 40 Städte dabei. Jetzt finden die Flashmobs jeden zweiten Samstag im Monat statt und werden in der jeweiligen Region frei organisiert. „Pflege am Boden“ ist ein freier Zusammenschluß von Menschen, die in der Altenpflege, Krankenpflege, Heilpflege oder Pflegehilfe tätig oder pflegende Angehörige sind. Es geht darum, gemeinsam sein Unbehagen kundzutun und zu demonstrieren, dass man unter diesen Bedingungen nicht mehr pflegen möchte. Jeder kann teilnehmen. Die Reaktionen der Leute sind unterschiedlich, viele pflichten bei, einige legen sich auch dazu. Das Thema geht jeden an.
Verschiedene, auch größere Medien – WDR, RBB, MDR – haben berichtet, gerade in kleineren Städten ist die Resonanz zu den Aktionen groß. Spätestens seit beim ersten deutschen Pflegetag in Berlin im Januar spontan geflashmobbt wurde, haben auch die relevanten Politiker, Herr Laumann und Herr Gröhe den Protest wahrgenommen. „Wir liegen, um zu zeigen: Jetzt aber mal ran, lieber Gesundheitsminister. Bitte nicht reden und keine erneute Expertenrunde.“, so Yvonne Falckner.
Und was motiviert Yvonne Falckner? „Wir sind gerade dabei, unsere Sozialstruktur zu verspielen. Immer mehr Armut in den Bereichen Bildung bis zur Pflege. Mein Traum ist es, dass sich alle sozialen Berufsgruppen zusammentun und ihr Unwohlsein kundtun. Ich verspüre soziale Unruhe … Vor einem Jahr ist meine Freundin gestorben. Sie war eine wunderbare Krankenschwester. Sie hat sich von der Pflegehelferin bis zur Stationsleiterin weiterentwickelt. In unserem letzten Telefonat sagte sie zu mir: ´Ich hätte nicht alles in der Pflege mitmachen dürfen. Das ist doch krank, was die einem abverlangen. Yvonne, werde glücklich und mach Dein Ding. ´ Diese Sätze haben sich in meinem Gehirn eingebrannt. Sie war 50 und hat wirklich vielen Menschen im Leben geholfen. Ihr widme ich innerlich immer den Flashmob. Sie hat zu mir gesagt als ich 20 Jahre alt war: ´Mach` Du Deinen Mund auf! Vielleicht schaffst Du was.´“